Bezugspersonen

Er muss weg!

„Pinklmann, der Baum muss weg! Der Christbaum hat seine Schuldigkeit getan. Der Baum darf gehen. Es muss Platz für Neues her“, sagt die Pinklfrau und deutet mit einem liebevollen Bitteholihnjetztundaufderstellerunterblick auf den Baum am Haken, der von der Wohnzimmerdecke kopfüber hängt. Eine Kugel. Ein Häkchen. Eine Schachtel. Naja, mehrere Schachteln. Und viele Kugeln. Und gefühlte 1000 Christbaumkugelnhäkchen. Wir reden kaum miteinander. Sind in Gedanken versunken. Ich versuche loszulassen. Versuche den Moment des Abräumens so richtig mitzubekommen. Versuche, das Loslassen als Platzschaffen zu erleben.

Jetzt ist es aber ordentlich leer.

Ja. Das vormals noch kreativ weihnachtlich geschmückte Pinklhausenwohnessküchenzimmer ist leer. So richtig leer. Da, wo vorhin noch der Baum hing – nichts. Auf der alten Kommode sind keine Weihnachtskarten, keine Geschenke, keine Kerzen – nichts mehr. Auch die Fensterbretter und Vasen und Schränke sind leer. Irgendwie wirkt es trostlos. Wenn man rausschaut, geht das Trostlose weiter. Und im Inneren – ich sag nur Verlängerung und werweißwielangedieverlängerungnochverlängertwird – auch trostlos. Ojeeee….

Ein Achtsamkeitsschnaufer muss her.

Tief eingeatmet. Angehalten. Wahrgenommen, was in mir ist. Ausgeatmet. So richtig lang. So richtig viel. Mit einem lauten Seufzer. Ufffffff. Ich spüre auch da eine Leere. So eine Leere, wie im Pinklhauserdgeschoß gerade ist. Ich merke, dass die Leichtigkeit fehlt. Dass der Pepp fehlt. Dass die Unverwechselbarkeit, die mich zur Pinklfrau macht, nicht da ist. Es ist so, als hätten meine Haare eine Länge und einen Farbzustand erreicht, der nach meiner Machdenkopfwiederschönerundschenkmirmeinselbstvertrauenzurückbezugsperson schreit. Und das im Lockdown… So fühlt es sich gerade an. Furchterbarlichst. Na, das war jetzt wieder nötig. Echt jetzt. Hätte ich nicht nachgespürt, dann würde es mir nicht so gehen. Aber nein, ich musste ja unbedingt einen A-Schnaufer machen. Grrrrrrrmmmmmmmhnajawirdschonschlussendlichgutsein.

Eine Bezugsperson

Ich geh nochmals ins Reinspüren. Ja, an der Sache mit der Bezugsperson ist schon was dran. Ich spüre auch, welche Bezugsperson ich jetzt bräuchte. Meine Oma. Meine Hamburgeroma, die sich nie ihres Dialekts entledigte. Auch nicht nach 40 Jahren Leben in Österreich. Die nie ihre Wurzeln geleugnet hat. Die, die mich immer Puddelchen genannt hat. Und den besten Pudding und Rumgugelhupf und den besten Obstsalat gemacht hat. Und mir Geschichten vorgelesen hat. Stundenlang. Und einfach da war. Gefühlt immer. Und die, die mich auch Christbaumkugeln abräumen hat lassen. Solche, die sie aus Hamburg mitgebracht hatte. Die in der Wohnung ihrer Eltern schon den Baum geschmückt haben. Ach … Oma. Die Kugeln hab ich damals nicht wertgeschätzt, als du sie mir geben wolltest. Ich bleibe hängen … im Moment … als ich ein kleines Mädchen war … und im Kabinett spielen durfte … mit den alten Spielsachen aus Hamburg … mit denen dein Bruder und du gespielt haben … als ihr Kinder gewesen seid … Ach…

Da sind sie!

Ich renne in den Keller. Mein Herz klopft. Spüre, wie mein Atmen unregelmäßig geht. Wirklich … da sind die Schachteln. Und ich hole sie aus dem Kasten hervor. Meinen Schatz. Einen Teil meiner Kindheit. Ganz vorsichtig. Liebevoll. Achtsam. Ja, das ist das stimmige Wort. Achtsam. Trage die verbeulte Schuhschachtel und das buntbedruckte Pappköfferchen hinauf und beginne auszupacken. Die vielen kleinen Figuren, die bestimmt an die 90 Jahre alt sind. Und den Küchenherd, der immer noch Funken schlägt. Und da … da ist das Badezimmer mit der Badewanne. Die Feuerwehrautos. Und die vielen Figuren, die ich alle putze und am Esstisch aufstelle. Um einen Überblick zu erhalten und um meinem Pinklmann einen Teil meiner Gewordenheit zu zeigen.

Ich fühle mich zurückversetzt

Fingerfiguren. Töpfe und Puppengeschirr. Bäume aus Flechten. Zwei bemalte Holzschiffe. Und da … ein Karussell, das sich noch dreht …. eine Schaukel … zwei Musiker … eine Tankstelle … eine Marktfrau … zwei Kinderwägen und Minipüppchen … Tiere und Zäune … Ich mache alles sauber. Mit Wattestäbchen und Zahnstocher. Höre nebenbei Beethoven. Keine Ahnung warum. Es tut einfach gerade so richtig gut! Und plötzlich weiß ich, was auf die Kommode kommt. Und auf den Esstisch. Auch, was auf dem Klavier zu stehen hat und womit ich das WC dekoriere. Genau! Das uralte Spielzeug. Es wird in Szene gesetzt. Auch auf den Fensterbrettern stelle ich einen Teil meiner Kindheit aus. Auch dort nehme ich Bezug zu einem Teil meines Lebens.

Es tut gut

Ja, es tut gut zu wissen, dass ich nicht alleine bin. Es tut gut zu wissen, dass dieses Spielzeug nicht nur mehrere Umzüge innerhalb Niederösterreichs, sondern davor auch von Hamburg nach Österreich überstanden hat. Und vielen Kindern in Hamburg Freude beim Spielen bereitet hat. Es macht mich demütig, weil es mich erinnert, dass dieses Spielzeug einen Krieg überstanden hat. Und so viele Jahre zwischen Dachboden, Kinderzimmer und Keller verbracht hat. Und immer noch Freude macht. Immer noch Augen zum Glitzern bringt. Bedingungslos. Ohne zu werten. Einfach ist. Und dass das Sein genug ist.

Es gibt Sicherheit

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber echt jetzt: Dieses uralte, teils beschädigte Spielzeug, lässt mich strahlen. Gibt mir Sicherheit. Lässt mich hoffen. Dass alles irgendwann ein Ende hat. Und dass es dennoch weitergeht. Anders. Ganz bestimmt anders, aber weitergehen wird. Weil ich werde nicht mit den kleinen Figuren spielen (okay, der Pinklmann schon und wenn mir niemand zuschaut, dann führt die Marktfrau auch Gespräche mit ihren Kundinnen) – die werde ich abstauben … bewundern … neu positionieren … wieder wegräumen … herauskramen … irgendwann meinen Kindern schenken … dann, wenn es in ihnen vielleicht mal trostlos ist … um sie zu erinnern … was alles schaffbar ist … und um nicht zu vergessen …

Bildquelle: privat