Und jetzt?!

So viele Nachrichten. Nicht enden wollende Beileidsbekundungen. Worte voller Dankbarkeit. Zuversicht spendende Texte. Erlebte Geschichten. Ich bin überwältigt. Geplättet. Komme mit dem Antworten, dem Liken und Verarbeiten kaum nach. Ich bin baff. Nein, mit einer solchen Resonanz habe ich nicht gerechnet. Nicht ansatzweise. Vielen Dank!

Eigentlich …

Über das Wort „eigentlich“ unterhalten wir uns in der MindfulBeing-Ausbildung immer recht intensiv. Weil in „eigentlich“ ja „eigen“, das „Eigene“ drinnen steckt und ich frage dann immer nach: „Und, was ist das EIGENE, das WIRKLICHE, das, was du in Wahrheit willst?“ Zuerst schauen die Teilnehmerinnen immer sehr verdutzt aus der Wäsche. Dann wird die Frage geflissentlich ignoriert und irgendwann stoßen wir auf des Pudels Kern. Auf das Eigentliche – auf das Eigene im Ich.

Also: Eigentlich habe ich mit dem Blogschreiben begonnen, weil ich Schiss hatte. Und dann habe ich weitergeschrieben, weil ich gemerkt habe, dass da was Magisches abgeht. Und dann bin ich drangeblieben, weil sich die Ereignisse überschlagen haben. Hmmm – ich habe begonnen zu schreiben, weil ich Schiss hatte. Ja. Das ist die Wahrheit. Und als ich dann gelesen und gesehen habe, wie sehr meine Worte, meine Bilder anderen Menschen helfen, da war für mich klar: Bleib dran. Bleibe ehrlich. Erzähle es so, wie du es empfindest.

Wenn ich jetzt in mich hinein höre, dann muss ich gestehen: Ich hab schon wieder die Hose voll.

Wieso nur?

Die beiden vergangenen Tag waren – wie soll ich es formulieren?! Sie waren ok. Ich war ja zum Glück gefasst. Wusste, dass es so kommt. War eingestellt, dass Mama sterben wird. Und dennoch: Es ist die Mutter – egal, wie gut oder schlecht, wie eng oder lose, wie stimmig oder unstimmig die Beziehung auch war. Es ist und bleibt die Mutter.

Ja. Es gab Tränen. Viele kleine und ein paar große Tränen. Nein, die Mama kann ich nicht zurückbringen. Und nein, es wird nie mehr so wie es mal war. Ja, das ist eine harte, heftige, furchtbare Zeit. Vor allem für dich, Papa. Ja. Du bist jetzt alleine. Du bist „alone“. Solltest jetzt auf die Vergangenheit zurückgreifen können und aus der heraus weiterleben. Weil du „all in one“ bist und hast. Weil alles in dir ist. Oder zumindest sein sollte. Ach – gar nicht so einfach. Ich weiß!

Ich schaue ihn an. Sehe einen Mann, der um 10 Jahre älter ist als meine Mutter. Eigentlich, sagt er, eigentlich sollte er vorgehen. Nicht die Karin. Weil er doch der Ältere ist. Aber dass sie ihn einfach verlässt – nein, das ist ihm unbegreiflich. Auch ich habe keine Antwort. Zumindest keine, die ich ihm sagen wollte.

Einsam

Das Telefon hat geläutet. Ich hab es nicht gehört. Hatte es – seit langem – wieder im Lautlos-Modus. Genau da ruft Papa an. Als ich es gesehen habe, war der Rückruf schnell getätigt. „Papa, du hast angerufen. Ich habe es übersehen. Sag, was ist los?“ Ein kurze Pause. Dann höre ich, wie er überlegt. Also eigentlich schluckt er. Schluckt die Tränen weg. Und dann sagt er stotternd: „Ich … ich … hmmm … also eigentlich … ich glaub, ich wollte dich nur hören.“

Ich atme aus. Mein Herz klopft. DAS hat er noch nie zu mir gesagt. Er will mich hören. Ich atme nochmals und frage, ob ich vorbeikommen soll. Er verneint. Er hat mich ja jetzt gehört, meint er. Mein Herz klopft lauter. Nein, es beginnt zu schwingen. Ich spüre ihn. Spüre seine Einsamkeit. Nein, das ist nicht fein.

Ich denke an den Löwenzahn. Genauer gesagt an den Samen. Der Samen, von dem ich so fasziniert bin. Denn in einem kleinen Samenkorn ist alles enthalten, was es braucht um eine neue Pflanze zu werden. Eine Pflanze, die nicht auszurotten ist. Die sogar aus einer Asphaltritze herauswächst. Hmmm … so „einSAM-enkorn“ (ein Samenkorn) sollte Papa jetzt sein. Das wäre fein. Er sollte alles in sich tragen, was es braucht, um über sich hinauszuwachsen.

Zweisam

Morgen komme ich mittags zu dir, Papa. Ich habe eine 2. Portion Schweinsbraten mit Knödel bestellt. Dann essen wir morgen gemeinsam. Du und ich. Geh dich waschen und schlaf gut. Schlaf lange. So, wie du es immer machst. Dann dauert es auch nicht lange, bis ich da bin. … Dann bist du zumindest für eine Zeit lang nicht mehr so einsam.

In mir arbeitet es. Auf der einen Seite bin ich dankbar, dass Mama erlöst ist. Es fühlt sich an wie ein leuchtendes Blütenmeer. Auf der anderen Seite ist es einfach nur herzbeschwerend, wenn ich sehe, wie Papa – die alte Eiche – leidet. Er ist entwurzelt. Umgeschnitten. Eigentlich gar nicht fein. Hmmm, denke ich mir – so ist das jetzt. Jetzt, in diesem Moment.