Eine Wolke voller Möglichkeiten


11.09.2022 / Claudia Pinkl /

Was für ein Tag. In ihm war so ziemlich alles enthalten, was es an Optionen im Leben gibt. Positive Optionen möchte ich betonen. Möglichkeiten, die ich weder gestern in der Nacht zu denken gewagt hätte, geschweige denn in den letzten sieben Jahren.

Eine Nacht des Grauens

Die Nacht von Samstag auf Sonntag war ein Graus. Mit tränenverschwollenen Augen bin ich gegen Mitternacht ins Bett gegangen. Nein, ich habe mich hineingeschleppt. Erschöpft eingeschlafen. Jedoch war meine persönliche Nacht um 2:30 wieder vorbei. Denn bis 5:00 war es mir nicht mehr möglich an Schlaf zu denken. Das Gespräch mit den Schwestern am Nachmittag brachte die Erklärung dafür…

Ein Vormittag des Schüttelfrostes

So kalt. Was war mir heute vormittags kalt! Keine Sonne. Weder am Himmel, noch im Herzen. Der Herbst hat nicht nur Einzug in Pinklhausen gehalten. Das Telefon hab ich nicht aus den Augen gelassen – in der Angst, dass ich DEN Anruf verpassen könnte. Es hat nicht geläutet. Hmmm – ich kann es nicht benennen. Das hat mich aus der Reserve gelockt. Hätte ich mich gestern so sehr geirrt?! Es ging ihr doch so schlecht. Nun, sterben geht nicht auf Knopfdruck – das ist mir schon klar.

Ein Mittag der Dankbarkeit

Papa, bitte geh dich waschen und rasieren. Wir wollen Mama besuchen. Es geht ihr nicht gut. Mit roten Augen macht er sich ans Werk. Was er denn anziehen soll? Nein, also dieses Pololeiberl nicht. Das mag seine Karin nicht. Und ob er das Mittagessen noch in seiner Jogginghose essen darf, fragt er. Ich lächle. Kurz darauf sind wir am Weg. Mein Herz klopft.

Ob Mama noch schlechter beinand ist als gestern? Wie das Papa wohl aushält? Was, wenn sie wieder so unruhig ist und mit geschlossenen Augen und einer jammernden Stimme nach Menschen, Dingen oder sonst was greift, das ich/wir nicht sehen können? Wie er das wohl verkraftet? Ich gestehe: Ich habe Angst.

Ein Nachmittag der Überraschungen

Als ich die Türe ängstlich öffne, lacht mir Mama entgegen. Sie ist wie ausgewechselt. Freut sich, dass Papa und ich da sind. Sagt: „Ahh, das ist gut. Vielleicht hilft es mir.“ Ich staune. Gestern noch am Weg zu ihren Vorfahren, heute auf der Showbühne. Ich pack die Welt nicht mehr. Papa und ich sitzen links und rechts von ihr und halten ihre Hand. Streicheln sie. Im nächsten Moment schließt sie die Augen und schläft. Mein Vater ist seelig. Denkt er doch, dass sie sich so gesund schläft. Nach einer guten Stunde bringe ich ihn heim.

Ein Spätnachmittag der Klarheit

Also, ich sag dir jetzt die Wahrheit, Papa. Auch wenn du sie nicht hören willst, aber Mama wird nicht mehr gesund. Gestern war sie ganz mies beinand, heute ist ein Höhepunkt, den sie seit sie im Krankenhaus ist, noch nie hatte. Papa, deine Frau wird gehen. Sie macht es nicht mehr lange. Sie ist müde, komplett verkrebst. Bitte, halte sie nicht mehr zurück. Du hast ihr das Ja-Wort bei der Hochzeit für ein gemeinsames Leben gegeben. Bitte, gib ihr jetzt das Ja-Wort für ihr Sterben. Bummm. Das war klar. Sehr klar. Nach tiefen Tränen ein dankbares: „Jetzt weiß ich, was wirklich ist.“

Ein Frühabend der Freude

Von Papa ging’s dann nochmals heim und dann mit dem Musikmacher ins Lebens.MEd. Erneut. Zum 2. Mal für mich an diesem Tag. Mamas Blick war ein Wahnsinn. So eine Freude, dass Joe mitgekommen ist. Ja, jetzt wird alles gut, hat sie gemeint. Und dann hat sie sich bedankt bei ihm, weil er ihr versprochen hat für meinen Vater dazusein, wenn sie nicht mehr ist. Dann haben sich die beiden unterhalten. Über Musik. Covid. Das Nicht-mehr-essen-können-und-wollen von Mama. 3 Selfies haben wie gemacht, nachdem uns die Schwestern erzählt haben, dass Mama heute nachts an der Schwelle gestanden ist. Dass das Team nicht gedacht hat, dass sie die Nacht überleben wird. Aha, darum war ich munter…

Ein Abend des Respekts

Von Mama sind wir – der Musikmacher und ich – unangekündigten zur alten Eiche gefahren. Klingklong. Angeläutet, aufgesperrt, reingegangen und ein Lächeln in das Gesicht des Eichenbaums gezaubert. Nach sieben langen Jahren ohne Kontakt, weil ganz schlimme Worte gefallen sind und vieles unüberwindbar erschien, geben sich die beiden Männer einfach die Hand, grüßen einander und Joe meint: „Ich habe gehört, bei dir gibt es ein gute Glas Wein.“ Ein Strahlen macht sich im Gesicht meines Vaters breit. „Dass du kommst. Nach all der Zeit. Respekt. Schön, dass du da bist.“ Ich stehe daneben, schaue, beobachte und denke mir:

Es braucht Zeit, bis sich eine Wolke dermaßen aufbaut, dass sie so fett am Himmelszelt steht. Und es braucht Wunder, vielleicht auch negative Wunder, damit es aus ihr regnet und zugleich ein Regenbogen erwächst. Zur Sicherheit machen wir 3 ein Selfie. Man weiß ja nie.

Ja, es braucht alles seine Zeit. Mal sehen, wie viel Zeit Mama braucht. Oder ob ihr Auftrag somit erfüllt ist. Sie weiß als einzige, wenn sie loslassen darf – so wie die Regentropfen sich aus der Wolke lösen und mit viel Glück einen Regenbogen zaubern…



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