Es ist vollbracht
Ich schlafe. Das Telefon läutet. Ich sortiere mich. Claudia Pinkl – ja bitte?!
Ahhh – Lebens.Med. Ja. Ich bin die Tochter – ja. Vielen Dank!
Es ist vollbracht. Sie hat es geschafft. Ihr Lebensweg ist vorbei. DANKE für dein Leben, Mama!
Halleluja!
Ich versuche das Licht der Nachttischlampe einzuschalten. Der Schalter – wo ist der?! Ach, es ist aber auch wirklich dunkel. Wie spät es wohl sein mag? 23:37 Hmmm – Mama ist erlöst. Sie hat es wirklich umgesetzt. Ist wirklich am 17. September 2022 gegangen. Die Ärztin hat mich gerade informiert. Ja, Ihre Mutter ist verstorben, meinte sie. In ruhigen Worten. Klar. Ob da Empathie mitgeschwungen ist, kann ich nicht sagen. Bei Schwester Margit auf jeden Fall. Da habe ich es gehört. Und gespürt. Bereits gestern noch, als wir miteinander ein paar Worte gewechselt haben. Als sie Mama noch etwas gegen die Schmerzen und die Unruhe gab. Das war gegen 20:30. Um 21:00 bin ich gefahren. Hab noch zu Mama gesagt: „Es ist jetzt echt genug. Du brauchst dich nicht mehr zu plagen. Du kannst gehen. Bitte – tu mir den Gefallen. Geh!“ Ich hab ihr noch ein Kreuzerl auf die Stirn gegeben. So, wie es meine Schwiegermutter bei den Kindern immer macht oder gemacht hat, wenn sie irgendwohin gefahren sind.
Kurz und intensiv
Jetzt sitze ich im Bett. Den Laptop am Schoß. Mir ist kalt. Die Zehen sind in Socken versteckt. Eine Weste soll mir Wärme bringen. Hmmmm – das wird nichts. Die Kälte kommt von innen. Ich merke, dass ich müde bin. Erschöpft bin von den letzten 4 Wochen.
Am 11. August hat mein Sohn den Notarzt organisiert, weil Mama so erbrochen hat. Am 16. August – als ich gerade meine Studentinnen am ISTA bei Sommercampus begleitet habe, ist Mama ins Krankenhaus zum Durchchecken gekommen. In dieser Nacht habe ich so schlecht geschlafen und furchtbar geträumt. Mama war überrascht, dass sie stationär aufgenommen wurde. Am 17. August – also genau ein Monat bevor sie verstorben ist – bekam Christoph den Anruf, dass Mama so schwach sei und nur mehr Palliativpflege erhalten könne. Als er mich darüber informiert hat, habe ich mich sagen gehört: „Christoph, sag Mama bitte, dass ich da bin für sie, wenn SIE es will. Dann komme ich – egal was war.“ Nach dem Telefonat bin ich eingegangen. Ich habe so geweint, dass mich Forscherinnen, die am ISTA arbeiten, in englischer Sprache gefragt haben, ob sie mir irgendwie helfen können. Ich war vollkommen baff.
Von da an – ab diesem Moment hat das Leben ein neues Kapitel aufgeschlagen. Im Buch meiner Mutter, meines Sohnes, in Papas Buch und auch in den Büchern meiner Tochter und meines Pinklmannes. Und in meinem. Von da an blieb kein Stein am gleichen.
Ein Monat bedingungslose Liebe
Was in der Zeit bis zu ihrem Ende am 17. September alles geschehen ist, das kann ich gar nicht glauben. Hätte mir jemand im Sommer erzählt, dass ich im Haus meiner Eltern ein- und ausgehe, für Papa sorge, mit ihm täglich ins Krankenhaus fahre und dann oft alleine ein 2. Mal – ich hätte gesagt: „Nie. Nie in meinem Leben wird das passieren. Das kann nicht sein. Nein – du irrst dich. Ich bin sicherlich nicht die Letzte aus der Familie, die bei ihr sitzt, ihr Musik vorspielt und den Raum bereitet, damit sie in Frieden gehen kann.“
Gestern (am 17.09.) habe ich in der Früh noch mit einer lieben Freundin telefoniert, die voll der Bewunderung für meine Kraft war. Am Abend hat sie mir eine WhatsApp geschickt mit dem Wortlaut: „Meine Liebe. Was kann man sich mehr wünschen, als am Ende noch jemanden zu haben, der einem die Hand hält…“
Von anderen Menschen wurde ich gefragt, wie an das schaffen kann, dass man da ist, obwohl es jahrelang keinen Kontakt gab. Wie man das schafft, dass man „alles“ hinter sich lässt. Ruhig und (einigermaßen) gelassen mit dem „Sterbeflow“ geht und auch den Vater bestmöglich begleitet und leitet. Hmmm? Die Antwort war nicht gleich auf der Hand. Doch nach einigem nach Innen blicken und Nachspüren war es klar: So muss bedingungslose Liebe sein. Das muss bedingungslose Liebe sein. Es kann nur bedingungslose Liebe sein.
Was inszenierst du?
In einem Modul meiner MindfulBeing-Ausbildung steht die Frage nach der „Inszenierung des Lebens“ im Mittelpunkt. Was inszenierst du? Welche Rolle übernimmst du? Wie legst du die Rolle an? Was willst du mit dieser Rolle bewirken? Welche Auswirkungen hat deine Rolle? Für dich und für andere?
Und genau diese Fragen habe ich mir auch gestellt. Ich habe mich gefragt, welche Rolle ich übernehme. Habe mich gefragt, wie ich sie anlege. Und vor allem die Auswirkungen auf das Leben meiner beiden Kinder, meiner Mutter, meines Vater und nicht zuletzt auf mich und meine Beziehung zu meinem geliebten Pinklmann haben mich zur bedingungslosen Liebe geschickt.
Jedes (Theater-)Lebensstück braucht Darsteller, einen Regisseur, eine Bühne, ein Drehbuch und entsprechende Requisiten. Damit das Stück ein voller Erfolg wird, bedarf es aber auch vieler helfender Hände, die im Hintergrund arbeiten. Im Falle der „Inszenierung des Sterbens der Karin G.“ möchte ich folgende Personen für den Schlussapplaus auf die Bühne bitten:
So möchte ich an dieser Stelle dem Pflegeteam des Lebens.Med Bad Erlach DANKE sagen. Ihr macht einen sensationellen Job – ihr lebt eure Berufung. Auch jener Ärztin aus meinem Heimatort stellvertretend für alle Ärzte ein großes DANKE – du hast mir auf menschliche Art die Augen geöffnet. Ebenso DANKE meinen verständnisvollen Kolleginnen und Kollegen an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich, dass ihr mir Raum gegeben habt. DANKE meinen Freundinnen und Freunden für die aufmunternden Worte, die Momente der Stille und Gesten des Zuspruchs. Meinen beiden wunderbaren, großartigen und so verantwortungsvollen Kindern Christoph und AnnaTheres ein CHAPEAU aus tiefstem Herzen. Ihr habt Wunder vollbracht! DANKE, Papa, dass du Hilfe zulässt und sie dankbar annimmst. Und selbstverständlich DANKE meinem Pinklmann, dem Musikmacher – du hast mir den Rücken gestärkt und bist mit mir eine Einheit – egal, was ist.
Und zu guter Letzt DANKE euch lieben (stillen) Mitleserinnen und Mitlesern! Ihr habt mich mitgetragen. Wenn durch meine Worte in euch etwas heil geworden ist, dann ist es fein.
Doch der Schlussapplaus und das Feuerwerk gehört der Hauptdarstellerin des Abends: KARIN G.